Im Interview: Michel Wiesend

12.09.2018

„Wir sind eine Wundertüte“

 

Vor dem ersten Heimspiel sprach Florian Wißgott mit dem neuen „Coach“ Michel Wiesend, der sowohl erfreut über die zahlreichen positiven Reaktionen seines Wechsels vom Stadtrivalen SV 04 Oberlosa zum HC Einheit Plauen ist, als auch keine Angst vor einem möglichen Scheitern aufgrund seiner fehlenden Erfahrung im höherklassigen Männerbereich hat, über eine äußerst interessante Anekdote zu seinem Engagement als Übungsleiter der ersten Mannschaft, das spannende am Trainer-Dasein und den scheinbar nicht vorhandenen Druck, die die Mission Klassenerhalt eigentlich mit sich bringt sowie eine Mammutaufgabe, die es zu lösen gilt.

 

Die Hebamme war die Zeitung, der Geburtshelfer der Verein: Du bist auf eine recht ungewöhnliche Art zu deinem Engagement als Trainer des HC Einheit Plauen gekommen; wie war’s genau?

Ich habe nach der vorletzten Saison aus unterschiedlichen Gründen erst einmal eine kleine Auszeit vom Handball gebraucht. Trotzdem habe ich immer darauf geschielt, wenn sich die Gelegenheit bietet, eine höherklassige Mannschaft zu übernehmen, um den nächsten Schritt zu gehen. Auch wenn es zahlreiche Angebote verschiedener Vereine aus dem Nachwuchsbereich gab, wollte ich bewusst da herauswachsen und in den Männerbereich arbeiten, um meine Qualifikationen noch besser auch praktisch umsetzen zu können. Ich verfolgte hier die Trainersuche und stellte Mitte Juni fest, dass immer noch keine Meldung über den neuen Übungsleiter kam. Beim Spaziergehen mit meinem Hund reifte die Entscheidung, dass ich mich mal beim Vorstand über den aktuellen Stand erkundige, dann gab es Ende Juni ein erstes Treffen und so kam so langsam der Kontakt zu Stande. Nach dem Gespräch mit den Verantwortlichen sprach ich auch mit Spielern aus dem Mannschaftsrat, um nicht komplett ins kalte Wasser geworfen zu werden und im Juli konnten die letzten Angelegenheiten geklärt werden.

 

War es der Reiz der Mitteldeutschen Oberliga oder was konnte dich hier überzeugen, in den Übungsleiteranzug zu schlüpfen?

Ich wollte einfach wieder meine Tätigkeit als Trainer bei einer höherklassigen Mannschaft nachgehen und deshalb interessieren mich auch keine Logos, da ich meinen Werdegang voranbringen möchte. Da ich selbstständig bin und das Übungsleiteramt nicht mein Hauptberuf ist, konnte ich nicht nach Leipzig oder Dresden aufgrund der deutlich mehr benötigten Zeit gehen, weshalb das hier genau die Chance war, die ich nutzen wollte. Also bot ich meine Hilfe als Co-Trainer an, doch die Verantwortlichen vertrauten mir gleich den Chefposten an und nach reiflicher Überlegung kam ich zu diesem Entschluss, dass ich mich dieser Aufgabe auf jeden Fall gewachsen fühle. 

 

Du bist jetzt für das Wohl und Aushängeschild des Vereins verantwortlich, wie gehst du mit dieser Situation um?

Wir haben vereinbart, dass ich diesen Druck in diesem Sinne nicht so bekomme, da der Verein weiß, in welcher Situation er sich befindet und in der letzten Saison eigentlich als erster Absteiger galt, aber dank vieler glücklicher Umstände den Klassenerhalt geschafft hat. Wir spielen also quasi als Sachsenligist in der Mitteldeutschen Oberliga. Mit den drei Neuzugängen sind wir jetzt schon deutlich besser aufgestellt und deshalb ist es möglich, wenn alle Jungs immer alles geben sowie konzentriert sind, das Ziel des Verbleibs in der vierten Liga auch zu erreichen. Die Mannschaft hat großes Potential, wenn sie eine eingeschworene Truppe wird und zusammen an den Erfolg sowie das eigene Können glaubt. Also müssen wir die vielen Nationalitäten sowie Charaktere alle unter einen Hut bringen, was nicht so leicht ist, dennoch stelle ich mich dieser Aufgabe und habe darauf richtig Lust. Ich wusste von dieser Mammutaufgabe, denn uns fehlen zehn der insgesamt 16 Saisonvorbereitungswochen, weshalb man sich vorstellen kann, auf welchem Level wir aktuell sind und die anderen Aufgebote. 

 

Stichwort unterschiedliche Nationalitäten sowie Charaktere, wie willst du alle erreichen und von deinen Vorstellungen überzeugen?

Fingerspitzengefühl wird bei jedem einzelnen Spieler benötigt, aber am Ende ist es nur ein Erkennen, ob jemand mehr „Streicheleinheiten“ braucht oder eben nicht. Mann kann auch nur autoritär arbeiten, hat damit vielleicht sogar Erfolg, aber langfristig wird der Akteur eher resignieren und sich einen anderen Verein suchen. Deshalb ist es wichtig, konstruktive Gespräche mit allen zu führen, konkrete Lösungswege aufzuzeigen und vielleicht auch mal etwas anderes zu machen, um alle mit ins Boot zu holen. Trotzdem sind wir noch in der Findungsphase, sowohl ich dem Verein sowie den Spielern gegenüber als auch umgekehrt und deshalb gibt es manchmal noch ein paar Probleme, das nachzuvollziehen, was ich gerade weshalb mache. Da in der vierten Liga nahezu alle Akteure auf dem gleichen Niveau agieren, ist meistens der einzige Unterschied das Mentale, also wer kann mit gewissen Negativsituationen besser umgehen und die dann besser analytisch umsetzen. Genau das ist dann der Unterschied zu denen, die mit sich selbst, mit dem Schiedsrichter und mit dem Publikum hadern, denn dadurch ist man nur abgelenkt. Es gab viele Partien in der Vergangenheit, in der diese Begegnung in einer Phase verloren wurde, in der man nur mit wenigen Toren hinten lag und dann aber sich beispielsweise unvorbereitete Würfe genommen wurden, die dann wieder nur in weiteren Treffern für den Gegner endeten, anstatt die Ruhe zu bewahren sowie sich ans taktische Konzept zu halten. Aber diese Bauentscheidungen zu unterbinden ist ganz schwer, da wir alle nur Menschen, aber keine Vollprofis sind, trotzdem muss man wollen und voll mitziehen, also im Endeffekt funktionieren, was noch nicht alle verstanden haben. Das zu erreichen ist ein langwieriger Prozess, in dem immer wieder die Sinne geschärft werden müssen, viel kommuniziert und vor allem Geduld bewiesen werden muss. Dennoch möchte ich den Spielern einen gewissen Freiraum geben, da wir auch kreative Leute haben und trotzdem muss man sich erst einmal einen Vorsprung erarbeiten, was nur über das Befolgen des taktischen Konzepts oder des zuvor Erlernten erreichbar ist. Man muss sich immer die Frage stellen: Was ist zielführend und dafür eben einen „langweiligeren Handball“ spiele, aber am Ende zwei Punkte habe, dann bin ich doch viel glücklicher, als wenn ich verliere. 

 

Blick in die Glaskugel: Was sind die Ziele für die Saison?

Wir wollen so erfolgreich wie möglich sein, deshalb muss das Mannschaftsgefüge unbedingt stabilisiert und die positiven Aspekte gestärkt werden. Aufgrund unseres Trainingsrückstandes kann man leider nicht erwarten, dass wir jedes Spiel gewinnen werden. Deshalb wird es Partien geben, in denen es nur darum geht, hier spielen wir ums beste Ergebnis, weil in dieser Liga auch am Ende das Torverhältnis entscheidend sein kann. Also lieber mal eklig und unangenehm für den Gegner agieren, als weiter seinen Stiefel zu spielen und sich Abwerfen zu lassen, weshalb man dann zum Abschluss der Saison auf einen Abstiegsplatz steht. Keiner weiß aktuell, wo wir stehen, aber dennoch bin ich optimistisch, dass wir den Klassenerhalt erreichen. Wir sind eine Wundertüte und deshalb wird viel von der Tagesform abhängen, aber es wird auf jeden Fall eins sein: erfahrungsreich.

 

Bild zur Meldung: Im Interview: Michel Wiesend